Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Thüringer Schulgesetzes und des Thüringer Gesetzes über die Finanzierung der staatlichen Schulen

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Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Thüringer Schulgesetzes und des Thüringer Gesetzes über die Finanzierung der staatlichen Schulen;

hier: Anhörung

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Prof. Dr. Merten,
vielen Dank für die Übergabe des o. g. Gesetzentwurfes und die Möglichkeit zur Stellungnahme.

I. Vorbemerkung und Forderung:

Die Landeselternvertretung begrüßt den mit dem Gesetz zum Ausdruck kommenden Versuch der Weiterentwicklung der Schulqualität in Thüringen. Insbesondere werden die im Gesetzentwurf dargelegten Zielstellungen:
1. Chancengerechtigkeit im Sinne von Unabhängigkeit der Entwicklungschancen von der sozialen Herkunft des Einzelnen,
2. Sicherung eines hohen Versorgungsstandards bei geringeren bzw. gleichbleibenden Schülerzahlen,
3. Schaffung stabiler Lerngruppen über einen längern Zeitraum der Schullaufbahn,
4. Stärkung des Prinzips der individuellen Förderung,
5. Impulssetzung zur Umsetzung innovativer pädagogischer Konzepte,
6. Verbesserung der Durchlässigkeit der Bildungsgänge,
7. Erweiterung der Möglichkeit des Erreichens allgemeinbildender Abschlüsse,
8. Einbeziehung der Betroffenen in die Entscheidungsprozesse,
9. Stärkung der flexiblen Schulausgangsphase,
10. Verbesserung der Berufsausbildung,

unterstützt.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird dieser Zielstellung jedoch nur ungenügend gerecht. Zum Teil ist festzustellen, dass er sogar gegensätzliche Impulse begründet. Dies wird im Folgenden dargestellt und mit Änderungsvorschlägen untersetzt.
Die Landeselternvertretung fordert deshalb die Überarbeitung der Lösungen und die Vorlage eines in sich geschlossenen Gesamtentwurfs, der insbesondere nachfolgende Grundsätze unabdingbar befolgt;
Die Gemeinschaftsschule muss mit Klasse 1 beginnen.
Eine Gemeinschaftsschule darf durch Umwandlung nur unter Wahrung des Freiwilligkeitsgebotes geschaffen werden. Konfliktlösungs- oder Bestimmungsmechanismen durch Ministerium oder Schulträger sind damit nicht zu vereinbaren.
Die Gemeinschaftsschule muss die Inklusion umsetzen. Individualisierter Unterricht bedingt die Förderung und Einbeziehung aller Schüler, mithin mit Handycaps und besonderen Begabungen.
Es ist der gleichberechtigte Zugang zu Bildung unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Familien oder Schulträger zu gewährleisten.
Zur zeitnahen Umsetzung, insbesondere jedoch zur Sammlung gesicherter Erfahrungen und Erkenntnisse, sollte die Möglichkeit des Schulversuchs für die Einführung Gemeinschaftsschule genutzt werden.
Die Schullaufbahn ist auf einen grundsätzlich 10jährigen Schulbesuch auszurichten.
Die Berufs- und Ausbildungschancen sind durch Flexibilisierung der Schulausgangsphase zu verbessern.

II. Im Einzelnen:

II.1 Ressourcenbedarf

Zu Recht weist der Gesetzentwurf darauf hin, dass sich die Erfolge der Thüringer Bildungspolitik, insbesondere im nationalen Vergleich, sehen lassen können. Dies ist u. a. auch durch die bisherige Reformbereitschaft Thüringens begründet. Viele begrüßenswerte Schritte sind bereits getan. Hierbei ist an die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems in Form der „Eigenverantwortlichen Schule“ und die Reformen der Sekundarstufen I und II zu erinnern. Diese Reformen sind aber erst auf den Weg gebracht und befinden sich selbst noch in der Umsetzungs- und notwendigen Weiterentwicklungsphase.
Die geplante Einführung der neuen Schulart Gemeinschaftsschule bindet über einen längeren Zeitraum finanzielle und personelle Ressourcen, die der notwendigen Weiterentwicklung des Unterrichts an anderer Stelle entzogen werden.
So ist bereits jetzt festzustellen, dass die Kapazitäten des Thillm zur Erledigung der notwendigen konzeptionellen Begleitaufgaben zur Einführung der Gemeinschaftsschule okkupiert werden. Dies führt dazu, dass die immer noch vorhandenen Umsetzungsprobleme im Zusammenhang mit den Reformen der Sekundarstufen I und II nicht bzw. nur unzureichend bearbeitet werden. Hieraus folgen Unsicherheiten und sinkende Unterrichtsqualität, insbesondere im gymnasialen aber auch im Realschulbereich. Vergleichbare Effekte lassen sich auf Ministeriums-, Schulamts- und Fachschaftsebene feststellen. Die notwendigen zusätzlichen Stundenzuweisungen und der hieraus resultierende Lehrermehrbedarf ist nicht gedeckt.
Bereits hieraus ergibt sich, dass vor Einführung der Gemeinschaftsschule und Änderung der Schulstrukturen die bisherigen Aufgaben zu lösen sind, um sodann entsprechende Kapazitäten konzentriert einsetzen zu können. Ein Festhalten an der Parallelität der Reformen erfordert die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen auf allen Ebenen.

II.2 Chancengerechtigkeit

Zusätzlich werden unzulässig notwendige Kosten zur Erfüllung der Anforderungen zur Fortentwicklung des Unterrichts gemäß KMK auf die Eltern abgewälzt. Beredtes Beispiel hierfür ist die Einführung des CAS-Rechners. Unter Zugrundelegung des statistischen Zahlenmaterials des TMBWK beläuft sich eine gymnasiale Jahrgangsstufe auf etwa 4.250 Schüler. Davon ausgehend, dass der CAS-Rechner nur einmal angeschafft werden müsste, belaufen sich die damit verbundenen Kosten auf 425.000 Euro p.a. Dies entspricht der im Haushalt zur Förderung der Gemeinschaftsschulen eingestellten Mittel.
Damit wird aber letztlich die Gemeinschaftsschule durch die Familien mit Gymnasialschülern finanziert, da diese diesen Fehlbetrag durch Übernahme der Anschaffungskosten zu subventionieren haben.
Ebenfalls konträr zur Zielstellung der Chancengerechtigkeit ist festzustellen, dass die Schülerbeförderungskosten ab Klassenstufe 11 am Gymnasium, der Gemeinschaftsschule, der Gesamtschule, dem beruflichen Gymnasium und während des Berufsvorbereitungsjahres nicht übernommen werden. Die hier vorgesehene Beteiligung der Elternhäuser und volljährigen Schüler ist, abhängig von der wirtschaftlichen Leistungskraft der Träger der Schülerbeförderung, z. T. sehr hoch, z. B. im Weimarer Land bis zu 125 Euro pro Monat. Dies betrifft vorwiegend den ländlichen Raum, so dass neben der sozialen Chancenungerechtigkeit auch eine territoriale festzustellen ist.
Gerade die Zielstellung der Verbesserung der Chancengerechtigkeit gebietet die Aufhebung der Schulbezirke und die Übernahme der Schülerbeförderungskosten zu jeder Schule, unabhängig der Schulart bzw. -form. Durch die zu begrüßende Profilbildung im Rahmen der „Eigenverantwortlichen Schule“ unterscheiden sich Schulen bereits heute signifikant in ihrem Angebot. Die Unterschiede werden aufgrund der offenen Anforderungen an die Konzeption der Gemeinschaftsschule weiter in nicht unerheblichem Maß zunehmen. Unter Beachtung des verfassungsmäßigen Gleichheitssatzes folgt hieraus ein Anspruch auf in gleichem Maße steigende Schulwahlfreiheit. Diese Freiheit muss aber auch wahrnehmbar sein.
An dieser Stelle ist auch zu kritisieren, dass nunmehr die Streichung der Landeszuschüsse zur Schülerspeisung manifestiert wird. Die geplante Änderung des § 7 Absatz 2 Schulfinanzierungsgesetz wird abgelehnt. Die Landeszuschüsse zur Schülerspeisung sind weiter zu normieren und tatsächlich wieder aufzunehmen.
Auch die finanziellen Regelungen im Zusammenhang mit der Ganztagsbetreuung sind unbefriedigend. Haushaltsmittel für den steigenden Bedarf sind nicht vorgesehen. Darüber hinaus fehlt es an einer Bestimmung, dass die Kosten der Ganztagsangebote Schulaufwand sind. Sonst ist auch hier mit einer weiteren finanziellen Belastung der Familien analog der Beteiligung an den Hortbetreuungskosten zu rechnen. Es ist zu verlangen, dass die zusätzlich erforderlichen Mittel für die Ganztagsbetreuung im Landeshaushalt eingestellt werden. Anderenfalls ist neben der Inanspruchnahme der Familien mit einer Verschlechterung der Jugendsozialarbeit der Kommunen zu rechnen, da diese aus den gleichen Haushaltstiteln zu bestreiten sind.
Insgesamt ist festzustellen, dass weiterhin die Kosten für die Schulbildung von deren Dauer abhängig sind. Da höhere Bildungsabschlüsse mit längerem Schulbesuch verbunden sind, werden diese weiter steigenden Kosten sozial schwächere Familien vom Besuch weiterführender oder fördernder Bildungsgänge abhalten. Die Bindung von Haushaltsmitteln für schulstrukturelle Neugestaltungen verschärft diese Problematik angesichts der z. T. prekären Haushaltslage der öffentlichen Hand.

II.3 Sicherung eines hohen Versorgungsstandards

Soweit der Gesetzentwurf davon ausgeht, dass die Einführung der Gemeinschaftsschule einen hohen Versorgungsstandard sichere, kann dem nur bedingt gefolgt werden.

Zu Recht verweist der Gesetzentwurf (S. 19) darauf hin, dass bereits jetzt die Möglichkeit besteht, fächerübergreifenden, klassenübergreifenden, klassenstufenübergreifenden und zeitweise kursübergreifenden Unterricht anzubieten. Dies werde von vielen Regelschulen bereits genutzt.
Hieraus folgt, dass die bestehende Abhängigkeit von Unterrichtsangeboten und Schülerzahlen nicht aufgehoben, allenfalls verschleiert wird. Um diesen Effekt aufzuheben, bedarf es nicht der Abschaffung von Kursen und ggf. Klassen. Vielmehr ist hierzu die Abkehr vom Prinzip der Lehrerzuweisung in Abhängigkeit von den Schülerzahlen erforderlich.
Hinzu kommt, dass Gemeinschaftsschulen Grund- und Regelschulen ersetzen sollen. Dies wird in Regionen mit geringer Einwohnerdichte zu einer Verschlechterung des Versorgungsstandards führen, da nur noch eine zumindest weniger Schularten angeboten werden.
Des Weiteren steht zu befürchten, dass gerade die Umwandlung bestehender Grund- und Regelschulen zu Gemeinschaftsschulen mit der Möglichkeit des zusätzlichen Angebotes des gymnasialen Bildungsganges zu einer Schwächung der ansässigen Gymnasien und Gesamtschulen führen wird. Diesen Schulen werden Schüler entzogen, so dass die Kapazitätsumverteilung deren Bestand gefährdet.
Soweit die tatsächliche Intention des Gesetzes jedoch darin liegen sollte, dass die Gemeinschaftsschule zu Lasten der übrigen Schularten zur Regelschulart werden soll, ist dies ehrlich zu benennen.

II.4 Schaffung stabiler Lerngruppen

Dieses Ziel kann durch die Gemeinschaftsschulen nur verlässlich erreicht werden, wenn diese verpflichtend die Klassenstufen 1 bis 12 umfassen. Alternativ kann die Gemeinschaftsschule auch die Klassenstufen 1 bis 10 umfassen. Einer verpflichtenden Einbeziehung des Gymnasiums in die Gemeinschaftsschule durch Kooperation bedarf es in diesem Fall nicht. Dies gilt auch für die Möglichkeit, dass die Klassenstufe 10 als Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe geführt werden kann, wenn die Gemeinschaftsschule selbst keine gymnasiale Oberstufe vorhält.
Die Lerngruppen müssen nach dem vorliegenden Konzept aufgrund der von der KMK geforderten abschlussbezogenen Bildungsgänge ab Klassenstufe 9 ohnehin getrennt werden. Wenn die Gemeinschaftsschule keine gymnasiale Oberstufe anbietet, ist es dann konsequent, dass die Schüler an das Gymnasium wechseln, um während der abschlussbezogenen Phase möglichst lange einer Schulgemeinschaft anzugehören. Anderenfalls müssen sie sich erneut in neue Lerngruppen ab Klasse 11 einordnen; mit dem Nachteil gerade in der Qualifikationsphase anderen Orts unterrichtet worden zu sein.
Die Umsetzung des besonderen pädagogischen Konzeptes einer Gemeinschaftsschule erfordert, dass die Kinder entsprechend vorbereitet werden. Die Begründung, dass es sich bei der Grundschule seit jeher um eine Gemeinschaftsgrundschule handele, trägt nicht. Ein nahtloser Übergang ist nicht gewährleistet, da der Gesetzentwurf ein hohes Maß an Beliebigkeit bei der Konzeption der Gemeinschaftsschule zulässt. Eine Verpflichtung zu reformpädagogischen Konzepten wird gescheut. Der hieraus mögliche experimentelle Charakter der Gemeinschaftsschule verlangt notwendig eine garantierte Einbindung der Schüler ab Schuleinführung.
Hiergegen spricht nicht die Notwendigkeit des Ermöglichens von Eintritten einzelner Schüler zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. aufgrund von Umzügen oder Wechsel aus anderen Schularten. Da es sich hierbei um Einzelfälle handelt, können diese mit Hilfe der individuellen Förderung im Rahmen des individualisierenden Unterrichtskonzepts integriert werden.
Sollte die Einräumung der Ausnahmemöglichkeiten bzgl. der Grundschule beibehalten werden, ist im Gegensatz zum Gymnasium aus den beschriebenen Gründen zwingend die Kooperation mit allen Grundschulen des Einzugsbereiches festzuschreiben.

II.5 Stärkung des Prinzips der individuellen Förderung

Die Einfügung des § 2 Abs. 2 wird ausdrücklich begrüßt. Jedoch ist weitergehend statt dem Wort „Schulart“ das Wort „Schule“ einzufügen. Zwar mögen die Notwendigkeiten zur individuellen Förderung graduell differieren, wenn die Schulart gewechselt wird, gleichwohl sind die Unterschiede selbst zwischen Schulen der gleichen Schulart nicht unerheblich und begründen damit einen erhöhten Bedarf an individueller Förderung. Dies liegt bereits heute in der gesetzlich vorgeschriebenen Profilbildung der Schulen im Rahmen der „Eigenverantwortlichen Schule“ begründet. Aufgrund der Unverbindlichkeit der Vorgaben zum Schulkonzept einer Gemeinschaftsschule, sind gerade beim Wechsel zwischen, von und zu Gemeinschaftsschulen besondere Förderbedarfe der Schüler zu erwarten.
Die Fragestellung der Inklusion, mithin die Integration und von Schülern mit körperlichen, sozialen oder geistigen Handicap sowie die Förderung der hoch und höchst begabten Kinder wurde nicht einbezogen. Die Landeselternvertretung vertritt hierbei die Auffassung, dass die Inklusion tragendes Prinzip des staatlichen Schulsystems sein muss. Für die Fälle, bei denen aufgrund objektiver Bedingungen die Inklusion zu keinen besseren Ergebnissen führen kann, sind entsprechende förderpädagogischen Einrichtungen weiter vorzuhalten. Das Entscheidungsrecht der Eltern muss bei der Wahl von Inklusion oder Fördereinrichtung Vorrang haben.

Die Inklusion als verpflichtendes Prinzip ist gerade für Gemeinschaftsschulen zu fordern. Eine Ausgrenzung von Kindern mit Handicap oder besonderer Begabung ist angesichts des Angebots individuellen Unterrichts und der damit zu schaffenden Rahmenbedingungen nicht mehr zu rechtfertigen.
Hieraus folgend ist die Möglichkeit zu eröffnen, dass auch Förderschulen und Förderzentren sich zu Gemeinschaftsschulen entwickeln können.

II.6 Impulssetzung zur Umsetzung innovativer pädagogischer Konzepte

Leider sieht der Gesetzentwurf nicht den Ausbau der Kooperationen mit Schulen nichtstaatlicher Träger vor. Gerade Schulen in freier Trägerschaft haben in der Vergangenheit eine höhere Bereitschaft zur Einführung innovativer pädagogischer Konzepte bewiesen. Diese Erfahrungen sind unbedingt unabhängig von der Schulart nutzbar zu machen. Gerade die Diskussionen um Finneck haben bewiesen, dass es zur Beseitigung bestehender rechtlicher Unklarheiten einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage und der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen solcher Kooperationen bedarf.
Die Landeselternvertretung erneuert ihre Forderung nach Aufnahme einer gesetzlichen Regelung, die die Kooperation zwischen staatlichen und Schulen in freier Trägerschaft ermöglicht.
Der Gesetzentwurf macht sich ein sehr offenes Modell bezüglich der pädagogischen Konzepte von Gemeinschaftsschulen zu Eigen. Dies wird kombiniert mit einer notenfreien Bewertung. Obgleich im Prinzip der Verbaleinschätzung durchaus positive Impulse gesehen werden können, ist damit auch eine relativ fehlende Transparenz bzgl. der Vergleichbarkeit für die Eltern und Schüler verbunden. Hieraus resultiert die Notwendigkeit einer engen Begleitung durch die Schulaufsichtsbehörden, um frühzeitig Fehlentwicklungen erkennen und dagegen intervenieren zu können.
Darüber hinaus zeigen die bisherigen Erfahrungen der Einführung innovativer pädagogischer Konzepte, dass diese längere Zeiträume der Entwicklung und Umsetzung bedürfen. Es ist deshalb unbedingt erforderlich, für die Schaffung von Gemeinschaftsschulen Einführungszeiträume vorzusehen. Der vorliegende Entwurf geht von einem Modell einer unmittelbaren Umwandlung zur Gemeinschaftsschule aus. Lediglich für Schüler, die bereits in konservativen Strukturen unterrichtet wurden, ist ein Herauswachsen vorgesehen. Eine solche Lösung ist unrealistisch.
Es wird daher die verbindliche Einführung einer Entwicklungsphase zur Gemeinschaftsschule gefordert. Dies würde es erlauben, dass zum Einen schrittweise inhaltlich konzeptionelle Änderungen der Schulkultur vorgenommen und zum Anderen in der bisher die Schule prägenden Schulform erprobt und geübt werden kann. Des Weiteren kann dadurch gewährleistet werden, dass ein entsprechend angepasstes Personalportfolio des Lehrkörpers geschaffen wird, ohne dass ad hoc Lehrkräfte die Schule und damit ihre Schüler verlassen müssen, die das geplante Gemeinschaftsschulkonzept nicht mittragen wollen oder können. Während der Entwicklungsphase ist die enge wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung zu fordern. Vor endgültiger Umstellung kann damit auch die fachlich zutreffende Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gewährleistet werden.
Darüber hinaus ist bezüglich des Konzeptes Transparenz zu fordern. Hierzu ist das Konzept den Eltern vor Entscheidung zu offenbaren. Eltern müssen die Möglichkeit haben, die Einschulung in eine Gemeinschaftsschule abzulehnen. Soweit Schüler die Gemeinschaftsschule während der Phase notenfreier Bewertung verlassen, ist deren individueller Stand durch eine Leistungsfeststellung bzw. Aufnahmetests zu ermitteln und zu dokumentieren.
Soweit § 6a die Verantwortung für die Erstellung des pädagogischen Konzeptes allein dem Schulträger überträgt, liegt hierin eine Durchbrechung des Zuständigkeitsprinzips des Schulwesens in Thüringen. Aus gutem Grund obliegt die inhaltliche Ausgestaltung der Schule dem Land. Hier sind sowohl die fachlichen Ressourcen als auch die personellen Verantwortlichkeiten angesiedelt. Die Verantwortung für die Erstellung des fachlichen Konzeptes muss weiterhin beim Land liegen. Erst wenn dieses es bestätigt hat, kann der übrige Bildungsprozess der Gemeinschaftsschule durch den Schulträger eingeleitet werden. Soweit die Begründung ausführt, dass der Schulträger bei der pädagogischen Konzepterstellung durch das Schulamt Unterstützung erfahren soll, findet sich keine anspruchsbegründende Entsprechung im Gesetz.

II.7 Erweiterung der Möglichkeit des Erreichens allgemeinbildender Abschlüsse

Auch diese Zielstellung wird nicht erreicht. Bis Klasse 8 muss eine Gemeinschaftsschule lediglich zwei abschlussbezogene Anspruchsebenen gewährleisten. Erst ab Klasse 9 werden drei abschlussbezogene Anspruchsebenen gefordert. Da der Begründung hierzu keine Ausführungen zu entnehmen sind, kann dies nur so verstanden werden, dass bis einschließlich Klasse 8 die gymnasiale Anspruchsebene nicht angeboten werden muss. Allerdings hat hierzu dringend eine Klarstellung im Gesetz, mindestens in der Begründung zu erfolgen. In Anbetracht der bestehenden Unterschiede der Sekundarstufe I an Regelschule und Gymnasium bedeutet dies, dass der gymnasiale Bildungsgang ab Klasse 9 unwahrscheinlich, zumindest erschwert ist. Insoweit ist zu fordern, dass Gemeinschaftsschulen durchgängig Unterricht auf drei abschlussbezogenen Anspruchsebenen ab Klasse 5 sicherstellen. Soweit die gymnasiale Anspruchsebene nicht von der Gemeinschaftsschule angeboten wird, muss die Übertrittsmöglichkeit zum Gymnasium nach den Klassen 7 bis 9 entfallen.

II.8 Einbeziehung der Betroffenen in die Entscheidungsprozesse

Hierzu sind folgende Punkte zu kritisieren:

1. Fehlende Einbeziehung der Elternvertretungen in die Schulnetzplanung

Die Schaffung von Gemeinschaftsschulen greift unmittelbar in die bestehenden Schulstrukturen ein. Aus diesem Grund ist die Beteiligung der Kreiselternvertretung im Rahmen der Anpassung der Schulnetzplanung zu fordern.

2. Freiwilligkeitsgebot

Wenn die Schule und der Schulträger freiwillig eine Gemeinschaftsschule schaffen können sollen, muss die Freiwilligkeit auch i. S. einem durchgängigen Prinzip für deren Rückwandlung gelten. Letztlich folgt hieraus, dass das Freiwilligkeitsgebot für alle Schulen Geltung haben muss.

Soweit § 13 Abs. 3a (neu) dem für das Schulwesen zuständigen Ministerium ein Letztentscheidungsrecht im Fall des Dissenses zwischen Schule und Schulträger einräumt, ist dies zu streichen, da es dem unabdingbar zu fordernden Freiwilligkeitsgebot zuwider läuft. Die Gemeinschaftsschule kann nur erfolgreich geschaffen werden, wenn sie von den unmittelbar Betroffenen gemeinschaftlich getragen wird. Eine Durchsetzung gegen den Willen der Eltern, Schüler und insbesondere der Lehrer wird das Scheitern durch Verweigerung bedingen. Eine Durchsetzung gegen den Willen des Schulträgers bedingt, dass es an der notwendigen Unterstützung mangelt. In jedem dieser Fälle ist eine Verschlechterung die Folge, dies kann nicht hingenommen werden.
Ebenfalls zu überarbeiten ist § 41 Abs. 4 (neu). Der vorliegende Entwurf begründet bei Umwandlung einen Anspruch auf Aufnahme in den Schulnetzplan sobald die umwandlungswillige Schule das Konzept beim Schulträger vorlegt. Eine Intervention ist nach dieser Vorschrift nur durch das zuständige Ministerium möglich, wenn es das Einvernehmen verweigert. Neben der Durchbrechung des Freiwilligkeitsgebotes liegt darin ein Verstoß gegen die kommunale Selbstverwaltung.

3. Einbeziehung aller beteiligten Schulen

Wie bereits im Punkt II.4 ausgeführt, bedarf es keiner Kooperation mit einem Gymnasium. Freiwillige Kooperationen verschiedener Schulen auch unterschiedlicher Schulform bleiben hiervon unberührt und sind auch heute schon möglich.
Soweit keine Verpflichtung zum Grundschulangebot normiert wird, bedarf es im Sinne einer Unabdingbarkeit der Kooperation mit den Grundschulen des Einzugsbereiches.
Die Bereitschaft zur Kooperation und der Abschluss der hierfür notwendigen Vereinbarungen haben jedoch ebenfalls dem Freiwilligkeitsgebot zu folgen. Die Verwendung des Wortes „bestimmt“ in § 6a Abs. 3 Satz 3 (neu) bedeutet, dass der Schulträger gegen den Willen der beteiligten Gemeinschaftsschule und Grundschulen Kooperationspartner verpflichten kann. Eine Verpflichtung zur Kooperation durch Bestimmung des Schulträgers ist nicht zu akzeptieren und bedingt das Scheitern der Gemeinschaftsschule.
Soweit gewährleistet werden soll, dass Kooperationen umsetzbar sind, z. B. die Schulen in vernünftiger Entfernung zueinander gelegen sind, kann dies der Schulträger dadurch gewährleisten, dass er der Bildung einer Gemeinschaftsschule nicht zustimmt(vgl. Ziff.2).

II.9 Stärkung der flexiblen Schulausgangsphase /Verbesserung der Berufsausbildung

Hier ist zu kritisieren, dass mit dem Änderungsentwurf die Fragestellung der Bildungschancen von Hauptschülern nicht aufgegriffen wurde. Die Erfahrungen zeigen, dass nach der 9. Klasse ein Ausbildungsplatz nur schwerlich zu erlangen ist. Insbesondere das Alter der Schulabgänger, aber auch von der Wirtschaft beschriebene Defizite im Bildungsstand werden hier als ursächlich benannt. Dem kann mit der Verlängerung des Hauptschulbildungsganges auf 10 Schuljahre wirksam entgegen gewirkt werden. Zusätzlich ermöglicht die längere Verweildauer das Ausgleichen ggf. bestehender Defizite bis hin, dass die Erlangung des Realschulabschlusses ermöglicht wird.
Die Abschaffung der Möglichkeiten zum doppelt qualifizierenden Abschluss am beruflichen Gymnasium wird abgelehnt. Hier wird eine Weiterentwicklung verlangt. Die in der Begründung angesprochene Problematik der fehlenden Akzeptanz der erworbenen Assistentenabschlüsse sollte durch die Verlängerung der Ausbildungszeiten am beruflichen Gymnasium auf vier Jahre begegnet werden.
Anderenfalls müssten berufliche Gymnasien abgeschafft werden, da sie sich in der gesetzlichen Beschreibung nur noch als Sonderschule für Realschüler, die die Hochschulreife erlangen wollen, darstellen. Die Möglichkeit einer Berufsausbildung neben der Erlangung der Hochschulreife sollte beibehalten werden. Sie erhöht die Erfolgsaussichten gerade in ingenieurtechnischen Studiengängen.
Darüber hinaus sind Konzepte zur Kooperation von Regelschulen und Gemeinschaftsschulen mit beruflichen Gymnasien zu entwickeln. Regelschulen, Gemeinschaftsschulen und Gesamtschulen soll die Möglichkeit eröffnet werden, ein berufliches Gymnasialangebot vorzuhalten.