“ Gemeinsamen Unterricht entwickeln – Förderzentren sichern!“

Kein Thema wird gegenwärtig so emotional und auch kontrovers diskutiert, wie die Frage der Integration von Behinderten und Nichtbehinderten im schulischen Alltag. Reizthema ist immer wieder die Frage, wie viel Gemeinsamer Unterricht ist sinnvoll und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein.

Die LEV möchte mit ihrem Eckpunktepapier “ Gemeinsamen Unterricht entwickeln – Förderzentren sichern!“ zu einem Wiedereinstieg in eine sachliche und fachliche Diskussion beitragen. Gemeinsam mit dem Thüringer Lehrerverband, der dieses Papier durch Entscheidung des Hauptvorstandes einstimmig unterstützt, wollen Eltern und Lehrer gemeinsam für ein Gesamtkonzept zur Integration kämpfen.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz am 10.03.2011 haben der Landeselternsprecher für die Thüringer Förderschulen und der Vorsitzende des Thüringer Lehrerverbandes das Eckpunktepapier einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und das TMBWK aufgefordert, im gemeinsamen Dialog mit allen Beteiligten ein tragfähiges Konzept zu entwickeln. Ziel dabei muss es sein, ein hohes Maß an individueller Förderung und Integration zu gewährleisten.

Die Landeselternvertretung bedankt sich ausdrücklich für die sehr konstruktive und angenehme Zusammenarbeit mit dem Thüringer Lehrerverband und freut sich auf die weitere Kooperation im Interesse unserer Kinder.

Stefan Nüßle

Landeselternsprecher der Thüringer Förderschulen

www.tlv.de

Erfurt, den 10. März 2011

Gemeinsame Position von Eltern und Lehrern

„Die Umsetzung des Gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht-behinderten Kindern in Thüringen wird derzeit mit einem Tempo vorangetrieben, bei dem die Mehrheit der Beteiligten nicht Schritt halten kann“, schätzen der Landeselternsprecher für Förderschulen, Stefan Nüßle und der tlv Landesvorsitzende Rolf Busch die Lage an den Thüringer Schulen ein.

Das Eckpunktepapier „Gemeinsamen Unterricht entwickeln – Förderzentren sichern“ der Landeselternvertretung (LEV) hat sich auch der tlv durch einen Beschluss seines Landeshauptvorstands zu Eigen gemacht.

„Immer wieder erfahren wir, dass Eltern der Wunsch verwehrt wird, ihr Kind an einem Förderzentrum anzumelden. Wir Eltern kennen unsere Kinder am Besten und wollen uns nicht vorschreiben lassen, welchen Weg der Integration unsere Kinder zu gehen haben“, stellt Stefan Nüßle den Standpunkt der Eltern dar.

Die Schulen fühlen sich mit der Ausweitung des Gemeinsamen Unterrichts überfordert und nicht ausreichend vorbereitet. „Für den tlv stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob wir inklusive Bildung wollen, sondern wie wir sie in Thüringen für alle Beteiligten in hoher Qualität erreichen können“, stellt Busch die tlv Position unmissverständlich klar. Der tlv kritisiert entschieden, wie der Gemeinsame Unterricht im Moment in Thüringen verordnet wird. Wenn der Elternwunsch danach tatsächlich besteht, bedarf es der umfassenden Vorbereitung mit entsprechender Fortbildung für alle Beteiligten und einer angemessenen Ausstattung der Schulen.

LEV und tlv fordern das Bildungsministerium auf, das Eckpunktepapier ernst zu nehmen und an dessen Umsetzung zu mitzuarbeiten.

„Der Gemeinsame Unterricht kann nur mit den Betroffenen und nicht gegen sie zum Erfolg geführt werden“, sind sich LEV und tlv einig.

Eckpunktepapier

Gemeinsamen Unterricht entwickeln – Förderzentren sichern

1. Ausgangslage:

Die Änderungen in der Schulgesetzgebung in den Jahren 2003 ff. haben zu einer neuen Sichtweise bei der Integration von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf geführt. Eine Stärkung des gemeinsamen Unterrichts wurde prioritär eingeordnet und die Beschulung an Förderzentren deutlich eingeschränkt. In diesem Prozess gab es eine Reihe gut, aber auch weniger gut gelungener Beispiele schulischer Integration. Die begleitend notwendige soziale Integration wurde dabei eher zufällig und keinesfalls systematischer Bestandteil.

Der Integrationsprozess wurde ausschließlich auf Grundlage bestehender Gesetze und Verordnungen gestaltet. Ein diese Elemente verbindendes Gesamtkonzept lag und liegt nicht vor. Somit fehlt für den Gesamtprozess ein Leitfaden und die Umsetzung ist in wichti-gen Bereichen deutlich subjektiv geprägt.

Ein zusätzlicher Katalysator für die weitere Entwicklung stellt die UN- Behindertenrechts-konvention aus dem Jahre 2006 dar, deren Eckpunkte im Bildungsbereich eine umfassen-de Inklusion als Standard definieren.

In diesen Rahmenbedingungen hat in den letzten etwa 1,5 Jahren eine sich deutlich ver-schärfende Dynamik zu einer großen Verunsicherung und teilweise gravierenden Überfor-derung unter Kindern, Eltern und Pädagogen geführt.

2. Eckpunkte:

Die Landeselternvertretung Förderschulen möchte für die notwendige Diskussion um die weitere Entwicklung des gemeinsamen Unterrichts und den bedarfsgerechten Erhalt der Förderzentren folgende Eckpunkte definieren.

1. Grundlage einer zielführenden und sachgerechten Diskussion ist eine einheitliche Begriffsbestimmung und objektive Basis statistischer Daten.

2. Der Gesamtprozess wird in einem weitgefassten Zeitkorridor und unter umfassen-der Einbeziehung der Partner (Eltern, Schule, Schulträger, etc) gestaltet. Angemes-sene Übergangsfristen sind zu gewährleisten.

3. Das Entscheidungs- und Wahlrecht der Eltern nach Grundgesetz und Thüringer Verfassung wird umfassend respektiert. Eltern, die ihrer Bildungs- und Erziehungs-verantwortung nicht umfassend gerecht werden können, werden durch gezielte Unterstützungsangebote in ihren Kompetenzen gestärkt.

4. Förderzentren bleiben Beschulungsorte im Sinne eines fairen Wahlrechts der Eltern. Eine ergänzende Weiterentwicklung zu Kompetenzzentren wird umfassend ge-stärkt.

5. Der gemeinsame Unterricht wird zu einer inhaltlichen und strukturellen Alternative entwickelt. Dazu gehören definierte Standards bezüglich Inhalt, Struktur und Finan-zierung (z. B. Ausstattung, Klassengröße, Ausbildungsstand der Pädagogen, Er-gänzungs- und Unterstützungsangeboten).

6. Die finanziellen Auswirkungen sind klar zu definieren und deren Zuordnung im Vor-feld zu klären.