Keine Zeit? Hausaufgaben, Hobbys, Freunde. Haben die junge Frau und der junge Mann auch. Zeit nehmen sie sich trotzdem. Für die Sorgen und Nöte der jungen und ganz jungen Menschen, die die Nummer des Kinder- und Jugendsorgentelefons wählen. Franziska Schmidt und Benjamin Ulrich über Probleme und Problemchen, über Klarkommen und Konfrontieren:
Franziska, Benjamin – was motiviert Sie, sich mit fremden Problemen zu befassen? Haben Sie nicht genug eigene Sorgen?
Franziska: Mein Ziel ist, einen sozialen Beruf zu ergreifen. Also befasse ich mich mit den Themen, die dazugehören, man will ja vorbereitet sein. Ich hatte bei uns an der Schule schon das Streitschlichter-Programm mitgemacht, die Ausbildung für das Sorgentelefon passte auch dazu.
Benjamin: Tja. Ich war eigentlich auch vorher schon eine Art Berater für Freunde und Bekannte, ich bin einfach oft gefragt worden, wenn's Probleme gab. Ich möchte Altenpfleger werden – da muss man mit Menschen reden und umgehen können. Also dachte ich mir: Wenn ich lernen kann, jemand richtig zu beraten und vielleicht zu helfen, kann das ja nicht schaden. Was Kinder und Jugendliche bewegt, sind ja auch Dinge, mit denen man im Leben überhaupt konfrontiert wird. Ist schon gut, wenn man weiß, wie man den Umgang handhabt. Und es macht auch Spaß.
Wer ruft an? Und warum?
Benjamin: Die Kleinsten sind acht, das geht dann bis 15, 16, älter sind sie nicht, 17 im Höchstfall. Es geht um Schule, Eltern, Mobbing. Missbrauch auch. Kinder rufen an, weil das Haustier gestorben ist oder weil sie keine Freunde haben. Es geht einfach um alles, wo jemand mit sich selbst nicht klarkommt.
Franziska: Am häufigsten sind Probleme in der Schule. Mit Lehrern oder auch wegen schlechter Noten. Auf die dann Probleme mit den Eltern folgen.
Was rät man dann?
Benjamin: Man sagt auf keinen Fall: ,Musst du halt mehr lernen.‘ Man versucht, den anderen auf den Weg zu bringen, auf einen eigenen Weg, sich selbst und das Problem wieder in Griff zu kriegen.
Franziska: Bei Schulproblemen fragen wir, wie es dazu gekommen ist. Dann fangen die meisten schon an, nachzudenken.
Benjamin: Wir sagen auch, dass sie wieder anrufen können, wenn es nicht geklappt hat. Beim zweiten Mal sind die meisten auch nicht mehr gehemmt – dann kommt alles auf den Tisch.
Franziska: Es fällt ja keinem leicht, bei uns anzurufen.
Das Sorgentelefon als letzter Ausweg?
Benjamin: Also grundsätzlich würde ich sagen: Wer anruft, ist bereit, sich zu öffnen. Vieles lässt sich aber anonym und am Telefon leichter besprechen, als wenn man jemand in die Augen sehen müsste. Wenn einer Probleme mit der Freundin hat, oder es um was Sexuelles geht. Viele haben niemand, mit dem sie über so was reden können.
Und wenn einer Probleme mit der Freundin hat und am Telefon ist ein Mädchen?
Benjamin: Wir sitzen hier immer als gemischtes Team. Auch Mädchen wollen oft explizit nur mit einem Mädchen sprechen. Manchmal reden wir aber beide mit einem Anrufer, stellen das Telefon laut.
Können Sie Probleme lösen?
Benjamin: Wir beraten. Wenn es sich um ein ernsthaftes Problem handelt, nehmen wir uns alle Zeit, die es braucht, darüber zu reden.
Franziska: In wirklich schweren Fällen – sexueller Missbrauch zum Beispiel – ist auch jemand hier im Haus (im Kinder- und Jugendhilfezentrum des Sozialwerks Meiningen in Bad Salzungen,
d. Red.). Jemand, der professionell und erfahren ist. Das ist o.k. für die Anrufer, die wollen und müssen geholfen kriegen.
Im gegenteiligen Fall – wenn Sie das Gefühl haben, der Anrufer macht sich über Sie lustig? Oder hat ein Problem, das höchstens ein Problemchen ist?
Benjamin: Ich lasse mir nicht anmerken, wenn ich ein Problem nicht für ein Problem halte. Ich will ja helfen, nicht spotten. Wir machen uns über niemand lustig. Scherzanrufe sind was anderes, die gibt's oft. Wenn man im Hintergrund Gelache und Geflüster hört, weiß man meistens Bescheid.
Franziska: Bei Beleidigungen sagen wir: Bis hierher und nicht weiter. Und legen dann auf. Oder geben einen Kommentar zurück – dann fühlt man sich besser.
Benjamin: Was sagen, womit die nicht rechnen, dann ist Ende.
Trotzdem müssen Sie damit zurechtkommen – mit den Beleidigungen und vor allem mit der Last dessen, was Ihnen erzählt wird.
Franziska: Man kriegt das wieder los. Vor der Ausbildung konnte ich das auch nicht, da hab ich alles mit nach Hause getragen.
Benjamin: Man darf sich nicht reinsteigern, sich selbst fertigzumachen bringt nichts. Und wer selber Probleme hat, richtige Probleme, kann nicht am Sorgentelefon sitzen. Würde aber vermutlich schon die Ausbildung gar nicht durchhalten.
Franziska: Wir quatschen auch im Team drüber, wenn was Schlimmes ist. Zudem hat man sich in der Ausbildung selbst verändert. Man verhält sich anders, ist viel gelassener, kann schwierige Situationen ganz anders angehen. Zuzuhören und zu beraten bringt auch persönlich was.
Benjamin: Auf jeden Fall.
INTERVIEW: MARIA-THERESIA WAGNER