Als Außenminister verhandelt er mit den Mächtigsten der Welt. Doch wie erklärt Frank-Walter Steinmeier einem Schüler, warum es okay ist, schwul zu sein? Das Jugendmagazin "Spiesser" lud den Spitzenpolitiker als Vertretungslehrer in ein Berliner Gymnasium.
30. Januar 2007, 10:02 Uhr: Eine Gruppe von Journalisten und Bodyguards stürmt das Kurszimmer. Irgendwo dazwischen ein weißhaariger Brillenträger: Frank-Walter Steinmeier. Er wird heute eine Geschichtsstunde zum Thema Europa geben.
Steinmeier setzt sich lässig auf den Lehrertisch und hält eine obligatorische Rede. Das konnten wir den Vertretern des Außenministeriums leider nicht ausreden.
Ersatzlehrer Steinmeier:
"Ist Deutschland gerecht?"
10:12 Uhr: Steinmeier redet und redet. Viele Schüler gucken bereits gelangweilt auf den Boden oder stieren in die Luft. Die Schulleiterin Frau Garstka hat sich selbst mit in die Bankreihen gequetscht und versucht, alle im Blick zu behalten. Vor der Vertretungsstunde erzählten uns die Schüler, Frau Garstka habe sie darum gebeten, nur Fragen zu Europa zu stellen und keine zur Kritik an Steinmeier wegen der Freilassung des ehemaligen Guantanamo-Häftlings Kurnaz.
10:13 Uhr: Steinmeier scheint zu spüren, dass die Schüler ihm kaum noch zuhören. Also versucht er sich jetzt als Lehrer. Sein Grinsen verrät, dass es ihm durchaus Spaß macht, die Jugendlichen zu testen.
Steinmeier: Wer ist denn länger in der EU: Österreich oder Irland? Wisst ihr das?
Schüler: Österreich? Oder doch eher Irland?
Steinmeier: Irland ist es. Von Österreich denken wir immer, es sei schon ewig dabei, weil es gleich neben uns liegt. Aber das Land kam erst in den 90er Jahren zur Europäischen Union.
10:14 Uhr: Einer der Schüler fängt gedankenverloren damit an, seinen Block mit Spiesser-Aufklebern zu verzieren. Steinmeier hat wahrscheinlich schon so viele Reden vor so vielen unterschiedlichen Menschen gehalten, dass er irgendwann aufgehört haben muss, sich auf seine Zuhörer einzustellen. Und wahrscheinlich ist dieser Termin heute für ihn so entspannend wie für normale Menschen zwei Stunden Schlaf.
Steinmeier: Dieses Jahr wird die Europäische Union ein halbes Jahrhundert alt. Vor 50 Jahren wurden die Römischen Verträge abgeschlossen. Ich frag jetzt nicht, wo.
Die Schüler vergessen, an der entscheidenden Stelle zu lachen, nur Frau Garstka kann sich ein freundliches Schmunzeln abringen. Dann meldet sich Christina:
Christina: Herr Steinmeier, ist ein dritter Weltkrieg ausgeschlossen?
Frau Garstka, stolz wie Bolle über so eine schlaue Frage ihrer Schülerin, mischt sich ein als wenn die Frage nicht auch so spannend wäre.
Frau Garstka: Die Christina fragt das vor allem, weil sie selbst aus Kroatien kommt!
Steinmeier: Ich bin Außenminister und kein Prophet. Ausschließen kann man das nie. Doch die Art der Konfliktbewältigung, die wir in der Europäischen Union eingerichtet haben, funktioniert gut. Wir können Probleme ohne Waffen lösen.
Salomé hat noch nicht genug und will Steinmeier jetzt mit einer privaten Frage aus der Reserve locken.
Salomé: Sie sind derzeit Kritik ausgesetzt. Wie gehen Sie damit um? Merkt man Ihnen das auch privat an?
Steinmeier: Meine Frau sagt ja, ich sage nein. Doch die Tatsache, dass es Kritik gibt und vor allem welche Kritik es gibt, lässt mich natürlich nicht kalt. Mein Terminkalender bis zum Sommer ist voll, da bin ich ohnehin selten zu Hause. Und wenn, dann vielleicht auch noch mit schlechter Laune.
10:27 Uhr: Plötzlich hören die meisten Schüler Steinmeier zu, seine ehrliche Antwort hat sie neugierig gemacht.
Salomé: Halten Sie Deutschland für gerecht?
Steinmeier: Also wenn wir über die Politikergehälter sprechen, dann empfinde ich die natürlich als zu gering.
Steinmeier lacht sich scheckig, die Schüler ahnen dieses Mal, dass es sich um einen Witz handelt und kichern brav ein bisschen mit. Dann fügt Steinmeier hinzu:
Steinmeier: Ich finde, wir müssen in Deutschland dafür sorgen, dass die unteren Einkommen so ausgestattet sind, dass man sich und seine Familie ernähren kann. Innerhalb der Großen Koalition konnten wir uns noch nicht auf einen Mindestlohn einigen. Ich sage: Wir brauchen einen.
Pascale: In der EU sind fast nur christlich geprägte Staaten, die Türkei ist vorwiegend muslimisch. Eventuell wird die aber irgendwann in die EU aufgenommen. Wie stehen Sie zu Homosexualität?
Ob Frau Garstka diese Frage gefällt? Nicht nur die Schüler, sondern auch die Bodyguards in der letzten Reihe lachen sich ins Fäustchen und sind anscheinend völlig überrascht, dass sich ein Jugendlicher traut, solch eine Frage zu stellen.
Steinmeier: Homosexualität halte ich nicht für ein Hindernis für europäische Integration. Doch wenn wir über Religion in Europa diskutieren, reden wir nicht nur über die Türkei. Auch in Deutschland oder anderen Mitgliedsstaaten gibt es eine große muslimische Minderheit, das Thema ist ja nicht völlig neu. Aber in der EU befassen wir uns nicht intensiv mit religiöser Zustandsbeschaffenheit. Staat und Kirche sind zunehmend getrennt. Gibt es noch weitere Fragen?
Pascale: Meine Frage wurde nicht zu Ende beantwortet!
Steinmeier: Ach so, ja. Wir haben versucht, all das auszuarbeiten, was mit Diskriminierungsfällen zu tun hat. Das deutsche Volk hat bisher ja auch ein hohes Maß an Toleranz gezeigt bei der Gesetzgebung.
Steinmeier: Ich hasse meinen Job nicht, wenngleich mir manches auf die Nerven geht. Ich muss sehr häufig zu irgendwelchen Sitzungen. Die Ergebnisse der ersten Stunde kann ich allerdings schon zwei Tage vorher aufschreiben. Das ist nicht so ergiebig.
...mit 26 anderen Außenministern auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, ist bestimmt auch nicht immer einfach. Ob man diese Runde mit einer Schulklasse vergleichen kann? Wer ist da der ewige Störer und wer der Klassenclown?
Steinmeier: Das kann ich pauschal nicht sagen. In Europa wechselt das nach Themen und Interessen.
Die große Politik scheint nicht so leicht zu sein wie das Schulleben. Aber in der Schule geht es ja auch nicht immer demokratisch zu. Langweilig mag der Job des Außenministers manchmal sein, so ganz ungefährlich ist er auch nicht. Hat Steinmeier Angst, wenn er in Regionen wie den Nahen Osten reist?
Steinmeier: Angst habe ich keine. Wenn ich im Hubschrauber sitze, bin ich nicht damit beschäftigt, über die Sicherheitslage nachzudenken, ich muss mich dann eher auf meine Gesprächspartner einstellen. Viele von ihnen kenne ich gar nicht, da muss ich mich vorher informieren.
Also neidisch wird man bei dieser Vorstellung nicht: Steinmeier fährt ins Ausland, spricht über weltpolitische Themen und erfährt erst wenige Stunden vorher, mit wem er es überhaupt zu tun hat. Seine Begleiter übernehmen wahrscheinlich die gesamte Vorbereitung. Politiker sein heißt wohl fremdbestimmt sein. Das zeigt sich denn auch nach der Vertretungsstunde.
11:02 Uhr: Wieder tummeln sich Bodyguards und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes um Steinmeier. Der muss erst einmal fragen, wohin er überhaupt gehen soll. In einem Monat wird er sich vor lauter Terminen wohl gar nicht mehr an diese Stunde erinnern können. Und die Schüler?
Nicole: Als Note würde ich ihm eine Zwei Plus geben, er war vor allem in der zweiten Hälfte ziemlich locker drauf.
Also doch kein so schlechter Lehrer? Ob Steinmeier jemals einer werden wollte?
Steinmeier: Wenn Sie mich so fragen: Nein.
Eine deutliche Antwort. Er kann wohl auch besser 26 Außenminister bändigen als 26 Schüler.
Protokoll: Anne Hähnig