Der Staat greift zu

ERFURT. Jugendweihen, Konfirmationen und Kommunionen stehen bevor. Für Kinder von Hartz IV-Empfängern bekommen die fröhlichen Feiern einen sehr bitteren Beigeschmack: Bei Geldgeschenken an die jungen Leute bedient sich der Staat.Für ungläubiges Kopfschütteln in der evangelischen Kirche sorgt eine Verlautbarung der Bundesagentur für Arbeit. Grundsätzlich müssen alle Geldgeschenke, die nicht zweckbestimmt sind, als Einkommen auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden. Das bestätigt auch Kati Domkowsky als Sprecherin der Arbeitsagentur Erfurt. Dr. Martin Remus, Pfarrer und Prosenior des evangelischen Kirchenkreises Erfurt, ist ebenso entsetzt wie seine Kollegin Bianka Piontek. Zwar stünden bei den Feiern die Segenshandlungen und Wünsche im Mittelpunkt und nicht die Geschenke. Doch jeder wisse, dass Anlässe wie beispielsweise die Konfirmation für die 14-Jährigen die erste Gelegenheit böten, ihre Sparschweine mal so richtig zu füttern. "Niemand fragt Kinder gut situierter Familien, wie viel sie bekommen haben." Doppelt bestraft aber würden Kinder von Hartz IV-Empfängern, die ohnehin schon schlechter gestellt seien als ihre Altersgefährten. "Von den 151 Konfirmanden unseres Kirchenkreises ist etwa ein Zehntel betroffen", schätzt Remus. Einmal im Jahr 50 Euro sind erlaubt, alles andere muss gemeldet werden und wird auf das ALG II angerechnet, falls es nicht zweckgebunden geschenkt wurde. Sich Geld-Gaben von Oma hinzulegen, um später zum Beispiel die Fahrerlaubnis zu zahlen - die im übrigen von den meisten Arbeitgebern schon bei Berufsanfängern erwartet wird - Fehlanzeige. "Das ist gemein", findet Magdalena, die demnächst in der Reglergemeinde konfirmiert wird. Sie ist glücklicherweise nicht betroffen, hält es aber für absolut ungerecht, "dass es die trifft, die sowieso weniger haben." Auch Alexandra und Isabelle aus der Thomasgemeinde können nicht verstehen, dass so etwas möglich ist. ."Die Regelungen sollten für alle gleich sein", sagen sie. Im Religionsunterricht mit Pfarrerin Piontek kam die Rede natürlich auch darauf, dass man einfach schummeln könne und nichts angeben solle. "Warum aber reden wir dann über das 8. Gebot ´Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen gegenüber Deinem Nächsten´?", fragt die Proseniorin. "Wir lehnen diese Regelungen der Arbeitsagenturen ab", so die beiden Protestanten namens des Kirchenkreises Erfurt und verweisen auch auf die Protestworte der Hannoveraner Bischöfin Margot Käßmann. "Jede Arbeitsagentur handhabt das Thema anders", weiß Pfarrer Remus. So verfahre man in Zwickau großzügig, in Döbeln hingegen werde an Jugendliche geschenktes Geld grundsätzlich als Einnahme verbucht und auf die Grundsicherung angerechnet." Jegliches Einkommen ist für ALG II- Empfänger immer bei der Arge anzuzeigen", bestätigt auch Kati Domkowsky. Werde es erst im Nachhinein bekannt, müsse leider auch für die Vergangenheit geprüft werden, ob Arbeitslosengeld II zustand. Die Arbeitsgemeinschaften in Erfurt, Weimar/Apolda, im Ilm-Kreis und in Sömmerda gäben laut Domkowsky die Empfehlung, möglichst Sachwerte zu schenken. So könnten z. B. Freunde und Verwandte für ein Fahrrad zusammenlegen und dieses schenken oder die Oma könnte einen Gutschein schenken, der beinhaltet, dass sie die Kosten für den Führerschein übernimmt. Von persönlicher Freiheit sagen die Empfehlungen nichts. Pfarrer Remus schüttelt den Kopf. "Wenn diese Regelungen wirklich greifen, ist das eine riesige Unverschämtheit." Birgit KUMMER


27.03.2007