Zwangsarbeit für den ersten Düsenjäger
Zwangsarbeit für den ersten Düsenjäger

Lehrerin Helga Sillge vergleicht mit Steve Schmidt und Stefan Küchler (v. l.,) die Luftaufnahme der Aliierten von  1945 mit den Resten der ehemaligen Flugzeugfabrik.   (Foto: OTZ/Annett Eger)
Lehrerin Helga Sillge vergleicht mit Steve Schmidt und Stefan Küchler (v. l.,) die Luftaufnahme der Aliierten von 1945 mit den Resten der ehemaligen Flugzeugfabrik. (Foto: OTZ/Annett Eger)
Geschichtliche Pfingstwanderung der Grundschule Langenorla mit dem Förderverein Gedenkstätte Walpersberg auf den Spuren des ehemaligen Rüstungswerkes
Von OTZ-Redakteurin Annett Eger Langenorla. Auf den Spuren des ehemaligen unterirdischen Rüstungswerkes Reimahg und der Schicksale der zum Bau eingesetzten Zwangsarbeiter waren am Pfingstsonnabend 26 Schüler, Eltern, Großeltern und Lehrer der Grundschule Langenorla unterwegs. Die vom Förderverein Mahn- und Gedenkstätte Walpersberg e.V. organisierte fast achtstündige Wanderung zu Fuß und per Auto führte die Geschichtsinteressierten von Hummelshain über Kahla in den Leubengrund bis zum Walpersberg bei Großeutersdorf.

Auf Betreiben des thüringischen Gauleiters Fritz Sauckel war ein Jahr vor Kriegsende in der Porzellangrube Großeutersdorf der Kahlaer Porzellan AG mit dem Bau einer unterirdischen Fabrik für das erste strahlgetriebene Jagdflugzeug der Welt, der Messerschmitt Me 262, begonnen worden. Zum Bau waren damals 12 000 junge Männer aus neun Ländern zur Zwangsarbeit ins Saaletal deportiert worden. Die meisten im Alter zwischen 18 und 20 Jahren, der jüngste Arbeiter war ein Kind von 12 Jahren.

Steffi und Patrick Brion, die seit 1995 die Ereignisse der Jahre 1944/45 erforschen und vor fünf Jahren den Förderverein gründeten, begannen die Entdeckungstour im neuen Jagdschloss Hummelshain. Dort war vor 63 Jahren das Betriebskrankenhaus der Reimahg eingerichtet. Die in Holz-Baracken im Schlosspark untergebrachten Zwangsarbeiter litten an meist tödlich endenden Krankheiten wie Typhus und TBC. Eine der sechs noch stehenden Baracken möchte der Verein originalgetreu wieder herrichten. "Wir vermuten, dass beim Abriss der anderen Baracken noch Habseligkeiten und Alltagsgegenstände der Zwangsarbeiter gefunden werden", sagt Patrick Brion.

Im neuen Kahlaer Heimatmuseum sind in einer Sonderausstellung solche im Stollensystem des Walpersbergs gefundenen Stücke zu sehen. Ein von Pößnecker Modellbahnfreunden gebautes Geländemodell der nie ganz fertig gewordenen Rüstungsfabrik mit der Startbahn auf dem Hochplateau des Walpersberges gibt dort einen guten Überblick über die zuletzt von NVA und Bundeswehr als Lager genutzten Anlage. Von Brion erfahren die Teilnehmer der Geschichtswanderung viele interessante Details. So starben die meisten Zwangsarbeiter beim Bau der 1200 Meter langen und 30 Meter breiten Startbahn, die in den Herbst- und Wintermonaten 1944/45 entstand. Verbürgt ist heute, dass zwischen 23. Februar und 8. April 1945 tatsächlich 25 Jäger vom Typ Me 262 vom Walpersberg starteten. Da die Startbahn für den ersten Düsenjäger der Welt zu kurz war, wurde mit einer zusätzlichen Nachbrenner-Rakete gestartet. Die Jungfernflüge dauerten jeweils nur 15 Minuten und führten nach Zerbst bei Magdeburg. Fünf Piloten waren für die Überführung zuständig. Einer kam dabei ums Leben. "Die ersten Maschinen wurden aus angelieferten Teilen des Messerschmitt-Werkes in Augsburg zusammen gebaut. Von einer vollwertigen Produktion war die Anlage Anfang 1945 noch weit entfernt", sagt Brion. Die angepeilte Stückzahl lag bei 750 Me 262 pro Monat.

Unter welch unmenschlichen Bedingungen die Zwangsarbeiter lebten, erläuterte Patrick Brion im Leubengrund, wo es aufgrund der Wasserversorgung durch Quellen mehrere Lager gab. Zwölf-Stunden-Schichten, sechs Kilometer lange Fußmärsche zur Arbeit und wieder zurück sowie eine karge Verpflegung zehrten so an den Kräften, dass viele der jungen Männer starben. Wie viele der 12 000 Ausländer in der Reimahg tatsächlich ums Leben gekommen sind, ist aber bis heute umstritten. Die Zahl von 6000, die auch am Mahnmal im Leubengrund zu lesen ist, hält Brion nach seinen Forschungen für nicht haltbar. Die Zahl habe in DDR-Zeiten ideologisch gepasst, sei aber nie bewiesen worden. Offiziell wurden standesamtlich rund 1000 Tote erfasst. "Ich denke, die Wirklichkeit liegt irgendwo dazwischen. Das relativiert oder schwächt das Leid der Menschen aber nicht ab", so Brion.Höhepunkt und Abschluss der von allen Teilnehmern als hoch informativ eingeschätzten Pfingsttour war der Besuch des Walpersberges selbst, auch wenn eine Führung im Berg nicht mehr möglich ist. "Der Zerfall ist dort auch aufgrund fehlender Lüftung derart vorangeschritten, dass ein Betreten aus Sicherheitsgründen auch in Zukunft nicht mehr möglich sein wird", erklärte Vereinsvorsitzende Steffi Brion. Derzeit will der Bund als Eigentümer das frühere Militärobjekt verkaufen. Der Verein sähe es lieber, wenn die Anlage als Gedenkstätte erhalten bliebe, so Brion. Unfassbar ist für den Förderverein, dass nach der jüngsten Gedenkveranstaltung ehemaliger Zwangsarbeiter am Walpersberg mehrere internationale Gedenktafeln gestohlen bzw. zerstört wurden. Laut Patrick Brion, der Angehöriger der belgischen Armee ist, hat diese Nachricht international in Italien und Polen bereits Aufsehen erregt. Die letzte Etappe der Wanderung führte zur ehemaligen Startbahn auf dem Rücken des Walpersbergs.

Dort zeigten die Brions die Überreste des ehemaligen Aufzugs, der die fertigen Flugzeuge aus dem Endmontagebunker zur Startbahn in 85 Meter Höhe transportierte. Das technische Prinzip des Aufzugs funktionierte wie die Oberweißbacher Bergbahn. Trotz der gründlichen Sprengung der Anlage durch die russische Armee sind noch heute viele Eckpunkte anhand der Luftaufnahmen der Alliierten aus dem Jahr 1945 zu rekonstruieren.

Der Förderverein veranstaltet pro Jahr etwa 20 Geschichtswanderungen und Vorträge. Termine: www.walpersberg.de


28.05.2007